Die alte Winterlinde

Natur

Die alte Winterlinde

// von Melanie Schulz | 29.05.2024

Die beeindruckende Linde im Schlossgarten der Burg Homberg ist seit April dieses Jahres Nationalerbe-Baum. Sie zählt zu den mächtigsten Winterlinden Deutschlands. Schätzungen besagen, dass es in ganz Deutschland nur etwa 30 Winterlinden gibt, die älter als 500 Jahre sind und diese gehört mit großer Wahrscheinlichkeit dazu.

Im Schlossgarten der Burg Homberg(Ohm) steht eine wunderschöne, uralte Winterlinde. Ihr Alter wird auf 400 bis 800 Jahre geschätzt. Damit hat sie bis zu 30 Menschengenerationen überdauert. Der eindrucksvolle Baum hat einen mächtigen Umfang von mehr als neun Metern und ist zirka 20 Meter hoch – und das, obwohl die Krone vor fast 100 Jahren in sechs Metern Höhe gebrochen war. Die Linde ist also ein äußerst widerstandsfähiger und kräftiger Baum.

Ein Herzensbaum

In der Vergangenheit wurden Linden besonders gerne in Dorfzentren gepflanzt, wo sie Treffpunkt für geselliges Beisammensein waren. Mit ihren herzförmigen Blättern gelten sie als Baum der Liebenden und des Herzens sowie als Friedensbaum. Als solcher wurden sie auch an Kult- und Kulturstätten gepflanzt.  Spirituell schenkt die Linde Geborgenheit und spricht Menschen an, die das Schöne lieben. Sie soll Träume und Fantasien, aber auch die Kreativität fördern. Außerdem galt die Linde im Mittelalter als heiliger Baum, da die meisten sakralen Schnitzereien aus Lindenholz angefertigt wurden. Im Übrigen gibt es auch im Yoga das Asana Baum, das erdet und den Herzraum öffnet.

Mit der Natur verbunden

Linden, wie auch diese, sind sogenannte Reifholz-Bäume. Das bedeutet, dass der Kern zu Rissen neigt und trockener ist als das junge, aktive Splintholz. Mit zunehmendem Alter zerfällt er ganz, so dass der Stamm hohl wird. Ein Grund, warum das Alter von Linden nicht so leicht über Baumringe bestimmt werden kann. So ist es auch unserer Winterlinde im Schlossgarten ergangen, die mit ihrem offenen Stamm etwas Freudvolles und Empfangendes hat. In sie möchte ich vorsichtig eintreten, mich eins mit ihr fühlen, mich in ihr verstecken? Vor allem denke ich aber an Tooba….

Tooba

Tooba ist eine Videoinstallation der iranischen Filmemacherin und Fotografin Shirin Nehshat aus dem Jahr 2002. In der 2-Kanal-Video- und Audio-Installation lehnt eine sehr schöne, Weisheit, Ruhe und Kraft ausstrahlende Frau an einem Tooba oder Baum, der für die Sufis ein mystisches Symbol für Nahrung, Frieden und Hoffnung ist. Im Koran symbolisiert der Tooba den heiligen Baum im Paradies, ein wunderschöner spiritueller und weiblicher Ort, an den man gerne zurückkehrt. Auf der zweiten Projektionsfläche sind schwarz gekleidete Menschen zu sehen, die sich durch eine karge Landschaft – möglicherweise sind sie auf der Flucht – auf den in eine Mauer eingefassten Baum – den Garten – und die Frau zubewegen und schließlich in den spirituell aufgeladenen Sehnsuchtsort eintreten. Je näher die Gruppe kommt, desto mehr wird die Frau eins mit dem Baum. Ihre geschlossenen Augen suggerieren Ruhe. Es könnte aber auch Ohnmacht und der Versuch sein, mit dem zerfurchten Baumstamm zu verschmelzen, darin zu verschwinden. Ob die Menschenmenge Schutz oder etwas Größeres an diesem aufgeladenen Ort sucht oder gewaltsam in den Garten eindringt, lässt die Künstlerin nämlich im Ungewissen. Obwohl sie laut mehreren Quellen den Garten als paradiesischen Zufluchtsort versteht, wirkt das unaufhaltbare Heranrücken der schwarz gekleideten Männer und Frauen zwar auch auf mich spirituell aufgeladen aber insgesamt doch eher unheimlich, bedrohlich und beängstigend. Irgendwie so, dass ich gerne meine Augen davor schließen würde. Unterstützt wird das durch die monotonen, beschwörenden Stammesgesänge der sich Nähernden, durch die Vielen, durch die in Schwarz Gehüllten, die einen starken Kontrast zu der natürlichen, naturverbundenen und einzigen Frau darstellen.

Ein Glück, dass ich nur die Linde im Homberger Schlossgarten ausprobiert habe. Im Übrigen wurde Tooba auch nicht im Iran, sondern in Oaxaca, Mexiko, gedreht: https://www.youtube.com/watch?v=2a3bCSA3E4A, wie die empfehlenswerte Dokumentation von Shahram Karimi zeigt.

Melanie Schulz

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