Das Meer
// von Melanie Schulz | 18.09.2024
Masha Qrella verwandelt die schwere Poesie Thomas Braschs in blaugrün schimmernde Magie.
Das Meer und die Sehnsucht lassen mich nun schon seit Tagen nicht mehr los. So auch gestern, als ich über abgeerntete Felder in die tintenblaue Nacht lief.
Über dem Fluss löste das gen Meer strömende Wasser einen starken Sog auf mich aus und mir kam ein Lied der Berliner Musikerin Masha Qrella in den Sinn: Blaudunkel. Tiefe Synthesizer-Klangflächen mischen sich mit einem leichten Rhythmus und einem ebenso tiefen Bass, bis schließlich die klare Stimme von Masha Qrella die melancholischen Zeilen des Ost-Schriftstellers Thomas Brasch darüber singt:
Vom Blauen und vom Dunkel
Thomas Brasch
kommen die Worte her
Vom Dunkel und vom Blauen
und werden immer mehr.
Im Dunkel und im Blauen
geht Lächeln aus und ein
Im Blauen und im Dunkel
wird wohl auch weinen sein.
Ins Blaue und ins Dunkle
geht alles Lächeln einst
Ins Dunkel und ins Blaue
wenn du heut‘ Worte weinst.
Masha Qrella hat 2021 auf einem ganzen Album die sperrige Poesie des Ost-Schriftstellers Thomas Brasch vertont und bringt sie magisch zum Leuchten. Zuvor hatte sie unter demselben Titel „Woanders“ ein Hörspiel komponiert, das sie 2020 im HAU uraufführte, und welches auf Deutschlandfunk Kultur abrufbar ist.
Es beginnt mit der Klangmelodie von Blaudunkel und einem Intro über Fische. Hierin geht es um eine Fischart, die, obwohl am Ufer genug Nahrung verfügbar ist, in Schwärmen ins offene Meer schwimmt. Der Grund ist, dass diese Fische nur zwei Bewegungen können: eine nach vorn und eine zur Mitte hin. Und diese vollführen alle Fische immer auf einmal: ins Meer hinaus schwimmen sie den führenden Fischen hinterher und in die Mitte, um von den großen Fischen nicht gefressen zu werden. Die führenden Fische aber würde man in einem menschlichen Organismus als geistesgestört bezeichnen. Da einige Körperorgane nicht funktionierten, wollen sie immer ins offene.
Zu welcher Kategorie Thomas Brasch zählte, beantwortet er selbst in dem Stück „Das Meer“, meinem Lieblingslied der wunderschönen Langspielplatte:
Ich tausche ein offenes Meer
Thomas Brasch
für meinen letzten Gedanken
Ich will sehr still und sehr
ins Blaue schwanken.
Dass ich nichts verlasse
wenn ich nicht mehr bin
Dass mich keiner hasse
dass ich nichts vermisse
wenn ich nichts mehr bin.
Wem die Texte gefallen, dem sei der Gedichtband “Die nennen das Schrei” von Thomas Brasch sehr empfohlen.
Wie immer dürfen natürlich Bilder von mir nicht fehlen, diesmal gibt es Meeresbilder, aufgenommen an der für ihre blaugrüne Wasserfärbung bekannten Opalküste: