Barbara Klemm im Kunstturm Mücke
// von Melanie Schulz | 22.09.2024
Am 15. September kam Barbara Klemm zur Vernissage ihrer Ausstellung in den Kunstturm Mücke. Neben dem ikonischen Bild vom Besuch Leonid Breschnews bei Willy Brandt 1973 in Bonn zeigte sie vor allem ausgewählte Fotografien ihrer Pressereisen.
Da ich auf dem Land wohne, bin ich es gewohnt, zur Kultur in die Stadt zu kommen. Diesmal sind wir aber anstatt dessen noch weiter hinaus, nach Mücke in den Vogelsberg gefahren. Zum Kunstturm Mücke, der sowohl einen Ausstellungsraum beherbergt als auch Name des Vereins ist. Und dieser hat sich unter anderem das Ziel gesteckt, zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler „aufs Land“ zu holen. Etwas, das ihm an diesem Wochenende besonders gelungen ist. So eröffnete am Sonntag hier die jahrzehntelange FAZ-Fotografin und eine der wichtigsten FotografInnen Deutschlands, Barbara Klemm, eine Ausstellung.
Barbara Klemm – Fotografien
Der Kunstturm liegt an der Landstraße zwischen Merlau und Niederohmen, parken kann man vor einem Schwimmbad auf der anderen Straßenseite. Die Künstlerin kommt in Begleitung ihres Mannes, einige Kunstinteressierte haben sich bereits eingefunden. Der Platz im Turm ist begrenzt, sodass nur eine kleine Auswahl ihrer Schwarzweißfotografien zu sehen ist: von ihrem wichtigsten Bild, das das Treffen von Willy Brandt und Leonid Breschnew im Jahr 1973 in Bonn zeigt, einmal abgesehen, verzichtet die Ausstellung weitgehend auf politische Bilder. Dafür zeigt sie Fotografien von den Reisen der Bildjournalistin: Straßenszenen aus New York, Kansas, Havanna, Kapstadt und Kalkutta, Szenen aus Osteuropa und Russland.
Ihr Metier: Politik & Feuilleton
Erweitert wird die Ausstellung durch drei großformatige Fotobände auf einem Tisch in der Mitte des Raums. Und diese zeigen die ganze Bandbreite ihres Schaffens: Politik, Feuilleton, Porträts und Straßenszenen von den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts bis in die 2000er Jahre. Bilder, die den Wandel der letzten Jahrzehnte auf großartige Weise und geballt dokumentieren. Hier blättere ich nie allein, irgendwer schaut mir immer über die Schulter und ich hoffe, vom Tempo her alles richtig zu machen.
Die Fotojournalistin…
Barbara Klemm hat jahrzehntelang das politische Geschehen der Bundesrepublik Deutschland und auch der DDR mit der Kamera begleitet und gilt als eine der bedeutendsten Chronistinnen der jüngsten deutschen Zeitgeschichte. Vorgestellt wird die Fotografin von Kurator Thomas Vinson, der auch Honorarprofessor für Gestaltung im Fachbereich Architektur/ Bauwesen der Technischen Hochschule Mittelhessen ist. In den Lärm der Verkehrsstraße hinein stellt er eingangs klar, dass sich Barbara Klemm nicht als Kunstfotografin sondern als Fotojournalistin versteht. Dies leite sich allein schon von der Auflage ab, in der ihre Bilder erschienen sind.
… schuf inkonische Aufnahmen der Bundesrepublik
Und dennoch: mit ihrer Gabe des stillen Beobachtens und ihrem besonderen Blick für Komposition und Situation, schuf sie ikonische Aufnahmen von journalistischem und! künstlerischem Wert. Was sich für mich also zunächst nach gewaltigem Understatement anhört, beginne ich zu verstehen, als ich der leise sprechenden und freundlichen Frau dabei zuhöre, wie sie rückblickend sehr glücklich und erfüllt von ihrer Arbeit erzählt. Ich verstehe, dass sie sich mit dem, was sie fotografiert hat, inhaltlich sehr befasst hat, dass sie sich ihres eigenen Standpunktes sehr bewusst ist und im Vorfeld zu ihren Aufnahmen stets intensiv journalistisch recherchiert und sich ganz genau überlegt hat, was sie zeigen möchte.
Und ich lerne an diesem Tag etwas über Klischees. Bevor Barbara Klemm nämlich von 1970 bis 2005 als Fotojournalistin arbeitete und hier für Politik und Feuilleton zuständig war, hatte die gelernte Portraitfotografin bereits zehn Jahre lang im Labor der FAZ gearbeitet und dort unter anderem Klischees hergestellt. Um ein solches Klischee für den Druck zu erstellen, musste man das Bild seitenverkehrt in eine dünne Druckplatte aus Zink, Kupfer oder Aluminium einätzen. Dieses Klischee wurde dann wiederum auf einer Unterlage aus Holz, Blei oder Eisen montiert, um es für den Druck auf die richtige Schrifthöhe zu bringen.
Früher Erfolg als freie Fotografin
Ab Mitte der 60er Jahre fing die Fotografin außerdem an, als freie Mitarbeiterin für verschiedene Zeitschriften und Magazine zu fotografieren. Ihr wichtigstes Thema: Die Studenten- und Hausbesetzerbewegung in Frankfurt. Zu dieser Zeit lernte sie auch ihren Mann in Frankfurt kennen. Diese frühen freien Arbeiten verhalfen ihr schließlich zu einer Festanstellung als Pressefotografin bei der FAZ. Gegen Ende ihrer beruflichen Laufbahn nahm sie außerdem im Jahr 2000 eine Honorarprofessur an der FH Darmstadt im Fach Fotografie am Fachbereich Gestaltung an, die sie bis 2019 fortsetzte.
Das Gefühl mit dabei zu sein
Was Thomas Vinson besonders an Barbara Klemms Bildern herausstellt, ist, dass sie dem Betrachter stets das Gefühl vermitteln, mit dabei gewesen zu sein. Das kann ich gut nachvollziehen und geht mir ähnlich. Aber wie gelingt ihr das? Zum einen sind ihre Bilder interessant, schließlich sagt die Fotografin selbst, dass es immer ihr Anspruch gewesen sei, die Leser mit ihren Bildern neugierig zu machen. Und schon ist man mittendrin. Rückblickend erinnern Sie zudem an die jeweiligen Zeiten, in denen sie entstanden sind. Auch das ist aus heutiger Sicht faszinierend. Außerdem sagt Barbara Klemm, dass sie sich selbst immer sehr zurückgenommen habe beim Fotografieren. Und dass der, der sich unbeobachtet fühlt, sehr viel authentischer agiert, liegt auf der Hand. Außerdem habe sie immer sehr konzentriert gearbeitet und sei eine gute Beobachterin gewesen. Mit dieser Gabe hat sie sicherlich oft genau im entscheidenden Moment abgedrückt. Ich nehme an, dass es noch sehr viel mehr Gründe gibt, warum ihre Bilder so einnehmend sind, aber Vinson kommt langsam zum Ende.
Zu jedem Bild eine Geschichte
Er bedankt sich noch einmal bei der Fotografin für die sehr angenehme Zusammenarbeit. Als er die Bilder in Frankfurt abgeholt habe, habe ihn Barbara Klemm sehr freundlich empfangen und ihm zu jedem Bild eine kleine, persönliche Geschichte erzählt.
Der Besuch Breschnews
Und eine solche Geschichte erzählt sie uns jetzt selbst. In dieser geht es um das besagte Treffen Leonid Breschnews mit Willy Brandt in Bonn. Es ist der erste offizielle Besuch eines sowjetischen Staatschefs nach dem Zweiten Weltkrieg. Barbara Klemm wollte bei diesem politisch wichtigen Treffen unbedingt dabei sein. Zwar war sie als Pressefotografin im politischen Bonn bis dahin unbekannt, aber sie hatte eine Poolkarte vom Auswärtigen Amt. Und mit dieser gelang es ihr mit vier weiteren Journalisten in den Nebenraum im Kanzleramt eingelassen zu werden. Breschnew habe sich gefreut, dass endlich einmal eine Frau mit dabei sei und ihr die Hand geschüttelt. Und dann habe sie sehr zurückhaltend ihre Aufnahmen gemacht. Und damit diese am kommenden Tag in der Zeitung stehen konnten, hatte sie im Vorfeld einen Motorradfahrer engagiert, der die Filmrollen nach Frankfurt in die Redaktion brachte. Barbara Klemm ist eine gute Erzählerin.
Im Übrigen schenkte Willy Brandt Breschnew damals einen Mercedes Coupe, den dieser zugleich begeistert ausprobierte und damit viel zu schnell in den Wald pretterte und zu Schrott fuhr.
Fotografien jenseits ihrer Aufträge
Und schon ist sie bei ihren zahlreichen Pressereisen ins Ausland angekommen. Im Rahmen solcher habe sie immer auch jenseits des eigentlichen Auftrags fotografiert. So habe sie zuvor recherchiert, was möglich sei zu fotografieren und sich vor Ort meist an die Korrespondenten gehalten. Hierbei habe sie sehr viel Material gesammelt, das zunächst in ihrem sehr gut geführten Archiv einen Platz fand und das sie bei Bedarf den JournalistInnen der Zeitung zur Verfügung stellen konnte.
Nach dem offiziellen Teil beantwortet sie noch eine ganze Weile die vielen Fragen der Besucherinnen und Besucher. Schließlich läuft sie dicht hinter uns zum Parkplatz und fährt noch vor uns mit ihrem Wagen mit FA – Z-Kennzeichen zurück in die Stadt.
Die Ausstellung im Kunstturm Mücke läuft noch bis zum 27. Oktober. Bis zum 19. Oktober gibt es außerdem Landschaftsaufnahmen von Barbara Klemm in der Galerie Peter Sillem in Frankfurt zu sehen.
Wir haben die Ausstellung sehr genossen und die Gelegenheit genutzt, um anschließend noch ein wenig durch den Vogelsberg zu wandern. Dabei sind die folgenden spätsommerlichen Aufnahmen entstanden:
Das könnte Dich auch interessieren: Schönes zum Frühstück, Von bukolischem Charme