
Zeit in Nîmes
// von Melanie Schulz l 23.01.2024
Römische Baukunst, eine Altstadt mit eleganten Cafés und Geschäften sowie ein mediterraner Garten erwarten die Reisenden in Nîmes.
Es ist ein kalter, klarer Januartag. Wir lassen rosafarbene Flamingos, weiße Camargue-Pferde und schwarze Camargue-Rinder hinter uns. Schließlich werden Sumpfland und Tamarisken weniger, dafür begleiten uns Zypressen und Weinfelder. Was bleibt, ist beidseits der Straße immer wieder das hohe Schilf.
So fahren wir bis nach Nîmes, in die Hauptstadt des Gards. Hier: breite Boulevards, große Plätze, alte Stadthäuser und elegante Cafés. Dazu zahlreiche Boutiquen, ein Amphitheater, ein römischer Tempel mit Kunstgalerie gegenüber und zum Schluss: Erholung in den Jardins de la Fontaine und eine erste Vorahnung vom Frühling.
Italienisches Flair
Wir nehmen einen Espresso in einem hübschen Café mit Glasterrasse. Kaum verlassen wir es, stoßen wir auch schon auf die Arena von Nîmes. Inspiriert vom Kolloseum in Rom wurde das Amphietheater zwischen 80 und 120 nach Christus erbaut.







Das Amphietheater von Nîmes
Nach Fertigstellung fasste die Arènes mehr als 20.000 Menschen, die hier vor allem den beliebten Gladiatorenkämpfen beiwohnten. Oft handelte es sich bei den hochtrainierten Gladiatoren um Sklaven, die ihrerzeit hohes Ansehen genossen und verehrt wurden wie heutige Fußballlegenden.
Doch nicht nur die Gladiatoren waren Stars, auch das Bauwerk selbst ist spektakulär. 150 Jahre architektonische Überlegungen stecken darin. In Bezug auf Großveranstaltungen stellt es den Höhepunkt römischer Architektur dar. Ähnliche Stadien für ein Massenpublikum wurden erst wieder fast 2000 Jahre später gebaut.
Eine Ellipse für beste Sicht
Das Besondere des Amphietheaters ist seine Ellipsenform, die allen Zuschauern beste Sicht verspricht. Die komplizierte geometrische Form ist aber nur schwer auf Bauwerke übertragbar. Dies wird deutlich, wenn man sich die Konstruktion einer Ellipse vor Augen führt.
Eine Ellipse hat zwei wichtige Punkte, die sogenannten Brennpunkte. Von jedem beliebigen Punkt der Ellipse ist die Entfernung zu beiden Brennpunkten zusammen gleich groß. Andersherum: ich erhalte eine Ellipse, wenn ich einen lockeren Faden, der die beiden Brennpunkte verbindet, mit einem Stift straffe und so um beide Brennpunkte herum eine Figur, die Ellipse, zeichne. Will man die Ellipse durch einen längeren Faden vergrößern, dann nimmt sie allerdings mehr und mehr die Form eines Kreises an.
Scheinellipsen bringen die Lösung
Was also nicht möglich ist, ist sie von ihren Brennpunkten aus durch parallele Formen zu erweitern. Um dieses Problem zu lösen, setzten die römischen Ingenieure die Ellipse aus vier Kreisbögen zusammen: zwei Kreisbögen davon beschreiben die Schnittmenge zweier größerer Kreise. In diese Schnittmenge hinein werden wiederum zwei kleinere Kreise gesetzt, deren Kreisbögen das jeweilige kurze Ende der Ellipse bilden.
Die Kurven des Amphietheaters von Nîmes sind also nur Scheinellipsen, die aus verbundenen Kreissegmenten bestehen. Auf diese Weise konnten 34 parallele Tribünenreihen konstruiert werden.
Arkaden und Attika bilden die Fassade
Die Technik für die Arkaden des Amphietheaters wurde schon beim Bau des Pont du Gard eingesetzt. Da jeder der 60 Bögen mit einer Treppe korrespondiert, die wiederum auf einen Rundgang führt, dienen sie vor allem der Lenkung der Zuschauerströme. Ein Prinzip, das wir noch heute in unseren modernen Stadien finden.
Auch die Maße des Amphietheaters von Nîmes mit zirka 130 x 100 Metern und einer Höhe von gut 20 Metern können mit heutigen, zumindest kleineren Stadien mithalten. Und dabei ist die Arènes von Nîmes noch nicht einmal die Größte ihrer Art, gleichwohl sie zu den besterhaltenen römischen Theatern zählt. So sind etwa an einigen Stellen im Gesims noch die Löcher für die elf Meter hohen Stangen zu sehen, mit deren Hilfe ein Sonnensegel zum Komfort der Zuschauer befestigt war. Das Segel schütze vor allem die Zuschauer in den oberen Rängen und kann gut und gerne als antikes Vorbild für die einziehbaren Dächer heutiger Stadien gelten.
Französischer Charme
Schließlich lösen wir uns von dem beeindruckenden Bauwerk und schlagen den Weg in die Altstadt ein. Wir passieren das Grande Café de la Bourse und freuen uns über die Möblierung der vielen Straßencafés: kleine runde Bistrotische und die typischen, farbig geflochtenen Rattanstühle versprühen französischen Charme.





Und schon stehen wir vor einem weiteren bedeutenden Monument römischer Baukunst: der berühmten Maison Carré. Die Maison Carré ist der besterhaltene Tempel der römischen Welt und einfach wunderschön. Und das finden nicht nur wir, sondern offenbar auch all jene, die die Sonne auf dem ins goldene Licht getauchten Tempel genießen.
Die Maison Carré
Die Maison Carré wurde zu Beginn des 1. Jahrhunderts nach Christus noch zu Lebzeiten des Kaiser Augustus vollendet, ist 26 Meter lang, 15 Meter breit und 17 Meter hoch. Ursprünglich lag die aus Kalkstein gebaute Maison de Carré im Zentrum von Nîmes und war inmitten eines großzügig gestalteten Forums allseits von Wandelhallen umgeben. Ein beliebter Treffpunkt der Stadt ist sie bis heute geblieben.













Bautechnisch interessant ist, dass die Säulen nicht aus einem Block bestehen, sondern aus aufeinander geschichteten Kalksteinscheiben, den sogenannten Trommeln. Diese werden durch Metallstangen im Inneren zusammengehalten. Die Kanneluren, also die senkrechten Rillen, wurden erst nach der Errichtung der Säule ausgearbeitet.
Alle Infos auch in der ZDF-Mediathek: Die Römer in Nîmes – Auf den Spuren der Antike
Das von Norman Foster entworfene Carré d’Art
1993 gestaltete der britische Stararchitekt Norman Foster den Platz neu und schaffte so eine neue räumliche Gesamtheit mit dem Museum für zeitgenössische Kunst, dem Carré d’Art. Hier, hinter modernen gläsernen Fassaden, werden wir uns später am Abend noch die Picasso-Ausstellung „Les temps de conflits“ anschauen.
Vorbote des Frühlings
Erst aber schlendern wir noch zu den Jardins de la Fontaine. Sie wurden im 18. Jahrhundert um die antike Quelle von Nîmes herum nach Versailler Vorbild geplant und gebaut. Die Gärten sind mit Brunnen und Statuen, Wasserbecken, Terrassen, Brücken und Bögen ausgestattet. Hier setzen wir uns auf eine Sonnenbank, genießen die immergrüne, mediterrane Vegetation und die ersten wärmenden Sonnenstrahlen. Und dabei sind wir nicht allein: auf der Mauer neben uns sitzt eine kleine, grüne Wanze. Ein zarter Hauch von Frühling kommt auf.
















