Von bukolischem Charme

Cevennen-77 Photography Dreams | South of France photographs - Cevennen Auf der Causse - Ziegenherde auf der Causse Fotografie

Von bukolischem Charme

// von Melanie Schulz | 09.04.2022

Traumhafte Natur im Überfluss, dazu Wanderer und Badende sowie hin und wieder Hirten, die ihre Herden auf die Bergalmen führen, das sind die Cevennen im Sommer. Im Winter hingegen ist das Lozère fast menschenleer. Zurück bleiben nur die Alten, kleine ländliche Erzeuger und einige Hippies. Eine Fotografin und ein Fotograf haben diese Menschen sowie die verlassene, mystische Winterlandschaft auf wundervolle Weise portraitiert.

Waldige Hügel, von wogendem Engelshaar und jeder Menge Wildblumen überzogene Hochebenen, Karstformationen und die wilden Schluchten der Flüsse prägen die wunderschönen Cevennen im Departement Lozère. Keine Region Frankreichs ist spärlicher besiedelt als diese hier. Im zentralen Nationalpark wohnen gerade einmal 500 Menschen, darüber hinaus sind es zirka 40.000. Da fallen die zirka 60.000 Sommergäste durchaus ins Gewicht. Und dennoch: selbst während der Sommermonate geht das Leben hier einen vergleichsweise gemütlichen Gang, so etwas wie Trubel gibt es allenfalls an zentralen Treffpunkten in den größeren Ortschaften, an den traumhaft schönen Aussichtspunkten oder an besonders idyllischen Badeplätzen. Jenseits dieser Hotspots versprühen kleine Weiler mit Schiefergedeckten, trutzigen Steinhäusern ihren pastoralen Charme inmitten der unberührten Landschaften und ab und an rückt eine Schäferhütte in unser Blickfeld. Selten begegnen wir auf unseren Wanderungen gleich einer ganzen, von einem Hirten angeführten Herde. Auch Bauern, die ihrer Arbeit nachgehen, sehen wir kaum.

Auf den Pfaden der Wanderschäfer

Zumindest dem, der aus dem Haute-Languedoc anreist, dürfte binnen kurzer Zeit jedoch das fantastisch-dichte Wanderwegenetz im Nationalpark der Cevennen auffallen. Und in der Tat, viele der Pfade, die durch das Cevennenbergland führen, sind alte Viehwege (Drailles), auf denen einige wenige Herden auch noch heute im Juni von ihren Winterweidegründen in den milden Küstenebenen zu den Sommeralmen am Mont Lozère und am Mont Aigoual ziehen. Hier oben wachsen auf den frischen Weiden schmackhafte Kräuter der Garrigue wie wilder Thymian und Rosmarin, dazwischen die Polster von wildem Lavendel. Andernorts locken saftige Wildblumen in hohem Gras wunderschöne Schmetterlinge an. Schließlich hat die Wanderweidewirtschaft oder Transhumanz ihrerseits hier im Hochland solche offenen Kulturlandschaften von besonderer Schönheit und außergewöhnlichem Artenreichtum überhaupt erst geschaffen. Mit der Gründung des Nationalparks im Jahr 1970 bekam die nachhaltige Wirtschaftsweise, die bereits vom Aussterben bedroht war, neuen Aufschwung. Auch wenn wir ihnen auf unseren Streifzügen nicht allzu oft begegnen, irgendwo werden die Ziegen und Schafe ihren Hunger schon stillen, manchmal meinen wir, leisen Glöckchenklang aus der Ferne zu vernehmen. Denn immerhin wird aus der Milch der Cevennen-Schafe der köstliche Schimmelkäse Roquefort produziert, während die cevenolische Ziegenmilch zu dem kleinen Cevennenkäse Pélardon verarbeitet wird. Und von beiden gibt es schließlich reichlich zu kaufen, auch überregional. Weitere Spezialitäten von hier sind die Süßzwiebeln, der Honig von dunklen Bienen und allerlei Erzeugnisse aus Eßkastanien wie zum Beispiel das leckere Maronenmus. In den Tallagen gedeihen zudem Wein, Oliven und Pfirsiche.

Bilder aus Mittelerde

Doch wie mögen wohl die Cevennen in der winterlichen Abgeschiedenheit wirken? Dann, wenn hier nur noch diejenigen leben, die hier geboren wurden, und die, die hierher geflüchtet sind – um im Einklang mit Natur und Landschaft zu leben? Einen wunderschönen Eindruck von Land und Leuten vermitteln die zumeist nebelverhangenen und leisen Fotografien Marie Demunters, die sie in ihrem Buch La Terre du Milieu veröffentlicht hat. Es ist im Juni 2019 bei LAUMA Éditions erschienen.

Rural und vom Verschwinden bedroht

Ein weiteres Portrait der archaischen Cevennenwelt und ihrer vom Verschwinden bedrohten Landschaft schuf Raymond Depardon. Betrachtet man seine kontrastreichen S/W-Bilder, dann scheinen hier in der winterlichen Abgeschiedenheit nur noch alte Menschen zu leben. Diese und die sie umgebende einsame Landschaft hat der mehrfach ausgezeichnete Fotojournalist, selbst Sohn einer Bauernfamilie, vor zirka 30 Jahren mit seiner Mittelformatkamera festgehalten. Vor zwei Jahren hat er nun 86 seiner damaligen Fotografien in dem großformatigen Fotobuch Rural herausgebracht. In sattgelbes Leinen gebunden sind viele seiner Bilder von winterlich-sperrigen Baumsolitären oder deren Schattenwurf geprägt. Die Menschen portraitiert er in den niedrigen Küchen ihrer Jahrhunderte alten Steinhäuser oder bei der Arbeit mit dem Ochsengespann oder ihren Viehherden. Denn: Für die Arbeit mit einem modernen Maschinenpark ist das karge Cevennenland nicht geeignet: viel zu kleinteilig und abschüssig ist das Gelände. So sind es gerade diese kleinen landwirtschaftlichen Betriebe, die hier einen wichtigen Beitrag zur Bewirtschaftung der ungünstigen Lagen leisten und damit landschaftsgestaltend sind. Fragt sich, wie lange noch…

Idyllische Sommertage

Vielleicht schaffen auch wir es irgendwann im Winter diese verlassene Gegend mit ihren lakonischen Bewohnern kennenzulernen. Bis dahin gibt es von mir leider nur Bilder aus der betriebsamen Sommerzeit auf diese wunderschöne Gegend…

Weitere Impressionen aus den Cevennen enthält der Beitrag “Der vorige Sommer und der Sommer davor”.

Melanie Schulz

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